Erkenne das Risiko rechtzeitig! - Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA)

Als langjähriger FMEA Moderator im automotive Umfeld habe ich von Kunden und Auditoren viel positives Feedback erhalten. „Ihre Methodik ist sehr, sehr gut.“, „Wunderbare FMEA!“, „Die beste FMEA, die ich je gesehen habe.“, „The most effective FMEA!“ Aber worauf kommt es bei der FMEA Moderation an? 

Eine Grundidee des Freien Qualitätsmanagements ist, die FMEA zum zentralen Toll der Produktentwicklung und des Prozessmanagements zu machen.

Hier meine TOP 10 Tipps zur FMEA, die man so nicht in Handbüchern und Schulungen findet:

Mein Angebot
  • Moderation von FMEAs nach VDA und AIAG

  • Design-, Prozess-, Maschinen-, System-, Ruhestrom- und Software-FMEAs

  • Moderation von Fehlerbaum-Analysen (FTA)

  • Erstellung von unternehmensspezifischen FMEA Handbüchern und Bewertungstabellen

  • Identifikation und Bewertung von Besonderen Merkmalen nach VDA

1. Orientieren Sie sich an internationale Normen und Standards

Wie eine FMEA zu moderieren ist und wie sie gestaltet sein soll, ist in anerkannten internationalen Standards von AIAG und VDA grundlegend beschrieben. Halten Sie sich an die wesentlichen Vorgaben und gestalten Sie Ihre Formblätter, Matrizen und Diagramme danach. Externe Partner wie Kunden, Auditoren, Lieferanten und Kollegen würden nur verwirrt werden, wenn Sie Ihre FMEA zu eigenwillig änderten.

2. Schaffen Sie sich einen eigenen Standard

Manche FMEA Moderatoren, die noch grün sind hinter den Ohren, fangen gleich nach der FMEA Software Schulung an zu moderieren. Nach einigen Sitzungen merken diese Moderatoren, dass ihre Moderationsmethodik nicht ganz zum Produkt oder Unternehmen passt. Ändern sie dann ihre Methodik, ist eine Korrektur der FMEAs aus früheren Sitzungen notwendig, was für den Moderator und vorallem für andere Teilnehmer sehr nervig sein kann. Stattdessen sollten Sie sich vor der ersten Moderation mit den internen Standards zur FMEA im Unternehmen vertraut machen. Passt Ihnen der Standard nicht, so machen Sie Verbesserungsvorschläge. Existiert kein Standard, so formulieren Sie einen eigenen Standard der konform ist mit internationalen Standards. Gemäß DIN ISO 9001 sollten Ihre Prozesse sowieso beschrieben sein.

Hin und wieder habe ich erlebt, dass Kunden verlangen, dass nach deren Standards die FMEA moderiert werden sollen. Gelegentlich taucht dies sogar in Lastenheften von Automobilbauern auf. Weisen Sie diese Forderung entschieden zurück und machen Sie Ihren Kunden klar, dass Sie sich an den internationalen Standards orientieren. Es steht Ihnen natürlich frei, die Kundenstandards zur FMEA zu studieren, um Ihren eigenen internen Standard weiter zu entwickeln.

3. Schaffen Sie sich einen Katalog aller Funktionen und Fehlfunktionen aus Sicht Ihrer Kunden

Qualität beginnt beim Kunden! Fragen Sie sich also, welche Funktionen Ihr Kunde von Ihrem Produkt oder Dienstleitung ganz allgemein erwartet und listen Sie diese in einer Tabelle auf. Ein Studium des Kundenlastenheftes kann Ihnen wertvolle Impulse dazu geben. Formulieren Sie nun zu jeder Funktion eine oder mehrere Fehlfunktionen, die der Kunde bemerken würde. Unterscheiden Sie dabei zwischen Sicherheitsfunktion, Grundfunktion und Komfortfunktion. Geben Sie den Fehlern der Sicherheitsfunktion einen Bedeutung B = 10 oder 9, der Grundfunktionen B = 8, 7 und der Komfortfunktion 6 oder kleiner. Herzlichen Glückwunsch! Sie haben gerade die oberste Ebene jeder Ihrer FMEAs erstellt. Dies ist der Startpunkt für alles Weitere in Ihrer Risikoanalyse. Pflegen Sie die Inhalte der obersten Ebene laufend und halten Sie diese aktuell.

4. Nutzen Sie standartisierte Strukturen und Maßnahmen

Beim Anlegen der FMEA Struktur glauben manche FMEA Moderatoren das Rad neu erfinden zu müssen. Machen Sie sich das Leben und die Arbeit einfach und greifen Sie auf bestehende Strukturen zurück. Die Systemelemente der Design-FMEA können entsprechend der Stückliste oder der Explosionszeichnung des Produktes angelegt werden. Die Struktur der Prozess-FMEA folgt dem Prozessflussdiagramm oder der Arbeitsanweisung. Somit finden sich auch andere in der FMEA Struktur zurecht.

Gleiches gilt für Maßnahmen. Man braucht nicht vollkommen neue Maßnahmen zu erfinden, sondern sollte auf bestehende Maßnahmen der Produkt- und Prozessentwicklung zurückgreifen. Dazu zählen Toleranzbetrachtung, Datenblattprüfungen, Prototypentests, Validierungen nach Produktnorm, Montageversuche, Wareneingangskontrollen, Statistische Prozesskontrollen und viele weitere. In den meisten Fällen reichen die Maßnahmen aus, zu denen Sie sich sowieso schon im Rahmen anderer Anforderungen verpflichtet haben. In seltenen Fällen kann man sogar mit Hilfe der FMEA sachlich begründen, warum man die Forderung einer Norm oder eines Kunden nicht aufwendig absichern muss. FMEA spart so Zeit und Geld.

Maßnahmen müssen aber nicht nur für die Fehlerursachen der untersten Ebene definiert werden. Formuliert man auch auf den höheren Ebenen für Fehlerarten und Fehlerfolgen Vermeidungsmaßnahmen und Entdeckungsmaßnahmen, so füllt man automatisch das V-Modell nach ISO 26262. Die Vermeidungsmaßnahmen sind der linke Arm und die Entdeckungsmaßnahmen der rechte Arm.

5. Diskutieren Sie die Bewertung nur einmal

Welcher FMEA Moderator kennt das nicht? Da hat man gerade Funktionen und Fehlerursachen verknüpft und die ersten Vermeidungsmaßnahmen und Entdeckungsmaßnahmen zusammen in der FMEA Sitzung definiert und schon beginnt eine leidenschaftliche Diskussion um Auftreten A, Entdeckung E und Risikoprioritätszahl RPZ. Der Vertreter der Produktion möchte eine viel höhere Bewertung der Auftretenswahrscheinlichkeit der Fehlerursache A erreichen, da ihm die Ausschusskosten heute schon zu hoch sind. Aus Angst vor weiterer Aufgaben redet der Prozessverantwortliche der Maschine das A herunter. Der Qualitäter hält die Sichtkontrolle mit der Entdeckungswahrscheinlichkeit E = 5 viel zu gut bewertet, da er schon immer mal ein automatisch optisches Inspektionssystem (AOI) haben wollte. Und so sind schnell 20 Minuten für die Bewertung einer einzigen Ursache verschwendet. Stattdessen sollten Sie die Bewertung von A und E an möglichst konkreten Beispielen und Kennzahlen einmalig zusammen mit allen beteiligten Abteilungen im internen Unternehmensstandard der FMEA festlegen. So sparen Sie sich jede Diskussion in der Sitzung. Denn nur der FMEA Moderator führt die Bewertung durch. Hat jemand ein Problem mit der Bewertung, so muss der Unternehmensstandard neu diskutiert werden. Dies aber bitte nicht in der Sitzung.

6. Packen Sie die Probleme an der Wurzel!

„Ich weiß ja, dass jedes hundertste Teil aus der Maschine nicht maßhaltig ist. Aber das bemerkt der Kunde doch gar nicht. Können wir nicht das Auftreten somit auf A = 3 setzen?“ So oder so ähnlich versucht man, ein hohes Auftreten von Fehlerursachen und deren A Bewertung wegzudiskutieren. Problematisch wird es aber, wenn der Kunde dann doch mal das Teil nachmisst oder dieses aufgrund der mangelnden Maßhaltigkeit ausfällt. Im Gegensatz zu den Fehlerfolgen können Sie die Auftretenswahrscheinlichkeit A der Fehlerursachen durch einfache Messungen häufig sehr gut abschätzen. Also beziehen Sie das Auftreten A also nur auf die Fehlerursache der untersten Ebene. Die unterste Ebene sollte möglichst auch ein messbares Produkt- oder Prozessmerkmal sein. 

Bei der Entdeckung ist es in manchen Fällen aber nicht so einfach. Die Farbe eines produzierten Kunststoffteils (Fehlerart) kann aufgrund der falschen chemischen Zusammensetzung (Fehlerursache) abweichen. Die Farbe lässt sich heute mit automatischen Inspektionssystemen leicht prüfen, im Gegensatz zur chemischen Zusammensetzung. In der FMEA wäre es also auf den ersten Blick einfacher die Entdeckungsmaßnahme „optisches Inspektionssystem“ für die Fehlerursache und Fehlerart zu wählen. Tatsächlich wäre es besser, die fehlerhafte chemischen Zusammensetzung (Fehlerursache) sicher zu entdecken. Dies könnte durch einmaligen Nachweis der Prozessfähigkeit im Rahmen der Entwicklung, beim Lieferanten oder durch Stichproben im Wareneingang erfolgen. In vielen Fällen ist der Gesamtaufwand für solche Maßnahmen geringer als die Anschaffung eines automatischen Inspektionssystemen. Kurz gesagt: Maßnahmen sollten sich immer auf die Fehlerursache und nicht auf Fehlerarten und Fehlerfolgen beziehen.

7. Messen Sie Auftretenswahrscheinlichkeit A und Entdeckungswahrscheinlichkeit E

Die Literatur zur FMEA macht zur Auslegung von A und E in den Bewertungsmatrizen unterschiedliche Vorschläge. Mal werden die Kriterien in Prosa weitläufig umschrieben, „Der Fehler tritt nur selten auf.“ Dann wieder werden konkrete Zahlenwerte als ppm Niveau genannt. Ich empfehle hier letzteres, da es viel Diskussion in der FMEA Sitzung vermeidet. Konkrete ppm Niveaus und Wahrscheinlichkeiten sind messbar und beenden eine Diskussion durch harte Fakten. So kann man die Bewertungsmatrix einer Prozess FMEA so austarieren, dass A = 5 genau 1000 ppm und E = 5 genau 90% Entdeckungswahrscheinlichkeit entsprechen. 90% Entdeckungswahrscheinlichkeit entspricht einem fähigem Messmittel in der Messsystemanalyse (MSA) und lässt sich häufig leichter bestimmen als die Auftretenswahrscheinlichkeit A. Personen, die behaupten, man könne die Wahrscheinlichkeiten der Maßnahmen gar nicht quantifizieren, wissen genaugenommen nur nicht, wie man dies bewerkstelligt.

8. Aufgabenpriorität hilft, RPZ ist gut, ppm Niveau ist besser

Das FMEA Handbuch von VDA und AIAG schreibt vor, dass Anhand der der Bedeutung B, des Auftretens A und der Entdeckungswahrscheinlichkeit E, die Aufgabenpriorität AP bestimmt werden soll. Diese gliedert sich in Hoch (= Maßnahme muss erfolgen), Mittel (= Maßnahme sollte erfolgen), Niedrig (= Maßnahme kann erfolgen). Erst wenn mindestens eine Maßnahme abgeschlossen wurde, sodass Niedrig erreicht wurde, ist das Risiko akzeptabel, sofern man keinen anderen guten Grund findet das Risiko zu akzeptieren. Die Aufgabenpriorität gibt aber keinen Hinweis, wie hoch das Fehlerauftreten beim Kunden ist.

Mit Hilfe der Risikoprioritätszahl RPZ = B x A x E kann schnell das Risiko einer Fehlerursache und ihrer Folgen abgeschätzt werden. Viele Unternehmen setzten sich Grenzwerte maximal erlaubter RPZ. Übliche Grenzwerte liegen zwischen 100 und 200. So sollen lange wirksamere Maßnahmen gefunden werden, bis der RPZ endlich das akzeptable Niveau erreicht hat. Allerdings ist der RPZ in Kritik geraten, da bei extremen Bewertungen von A und E geringe RPZ erreicht werden können. So könnte bei B = 10, A = 10 und E = 1 ein durchaus akzeptabler RPZ von 100 erreicht werden. Dieses Risiko mag der Kunde aber wohl garnicht akzeptieren. Faktisch wird hier versucht, eine sicherheitsrelevante Fehlerfolge (B = 10) überhaupt nicht zu vermeiden (A = 10) und stattdessen nur vollständig zu entdecken (E = 1). In seltenen Fällen kann dies tatsächlich eine sinnvolle Lösung sein, was man dem Kunden bestimmt auch klar machen kann. Zur Lösung wählen manche Moderatoren weitere Kriterien, wie die B x A Matrix oder die Matrix der Aufgabenpriorität AP. Ergänzend zum RPZ sollte man aber zudem noch das ppm Niveau der Fehlerfolge immer im Blick haben dies kann man, aus dem ppm Niveau der Auftretenswahrscheinlichkeit und der Entdeckungswahrscheinlichkeit ermitteln. In der Automobil und Lebensmittelindustrie sollte für sicherheitsrelevante Folgen (B = 10 oder 9) das ppm Niveau nicht größer als 1 ppm sein. Für funktionsrelevante Folgen (B = 8 oder 7) nicht größer 10 ppm.

9. Restrisikobetrachtung zum Ende der FMEA

Manchmal lassen sich zum Ende der Entwicklung kurz vor dem Start der Serienproduktion (SOP) manche Maßnahmen in der FMEA einfach nicht abschließen und der RPZ bleibt über dem Grenzwert. Alle Beteiligten, auch der Kunde, sind sich aber einig, dass das Risiko akzeptabel ist und mit der Produktion gestartet werden sollte. Um die FMEA nun nicht gänzlich zu ignorieren, dokumentieren Sie die offenen Risiken in einer separaten Risikobetrachtung und bewerten Sie nun nicht Wahrscheinlichkeit der Fehlerursachen, sondern der Fehlerfolgen. Denn nicht jede Abweichung einer Fehlerursache führt beim Kunden automatisch zu 100% Wahrscheinlichkeit zur Fehlerfolge. Lassen Sie sich die Ergebnisse der Restrisikobetrachtung vom Kunden bestätigen.

10. Ehrlich wärt am längsten

Es mag Ihnen als Moderator widerfahren, dass Sie von Vorgesetzten oder Kolleg:innen bedrängt werden, kurz vor dem wichtigen Entwicklungsmeilenstein oder Audit nicht so streng mit der FMEA zu sein. „Können Sie die Bewertung nicht noch einmal aktualisieren, damit die RPZs besser aussehen.“ Lassen Sie sich auf solche Spielchen nicht ein und arbeiten Sie weiter konsequent nach den Unternehmensstandards, die wiederum internationalen Standards gehorchen. Von der Konsequenz, Glaubwürdigkeit und Sorgfalt Ihrer FMEA Moderation hängt die Sicherheit der Produkte beim Kunden und der nachhaltige Erfolg Ihres Unternehmens ab. Damit sichern Sie Ihren Arbeitsplatz und den Arbeitsplatz Ihrer Kolleginnen und Kollegen. Sollte man Sie weiterhin von oberster Stelle auffordern, die FMEA zu fälschen, so ziehen Sie in Betracht, den Arbeitgeber zu wechseln. In Zeiten von Fachkräftemangel darf ein FMEA Moderator ehrlich sein.